Gottesdienst 20.09.20

Predigt über Genesis 2,4-15 (i.A.); Ehringen am 20. September 2020

4 Dies ist die Geschichte von Himmel und Erde, da sie geschaffen wurden. Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte.

5 Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen. Denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute. 7 Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. 8 Und Gott der HERR pflanzte einen Garten 15 und nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.

Die Bibel – das ist die seltsame Geschichte, wie der Schöpfer des Himmels und der Erden, der Herrscher des Universums, selbstgebastelte Männchen aus Erde so dermaßen liebgewinnt, dass er sie zu seinen Kindern macht, weil er für immer und ewig mit ihnen zusammen sein möchte. Ich glaube, es ist nie eine wundersamere und wunderbarere Geschichte erzählt worden.

Wie konnte es soweit kommen? „Was ist der Mensch?“, fragt sich schon Psalm 8, „was ist der Mensch, dass du, Gott, seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du sich seiner annimmst?“ Der so genannte zweite Schöpfungsbericht der Bibel gibt darüber näher Auskunft. Er ist älter als der erste, bekanntere Schöpfungbericht, in dem von der Erschaffung der Welt berichtet wird. Da schafft Gott Himmel und Erde mit all ihrer Vielfalt von Geschöpfen, ein jedes nach seiner Art. Er tut es ohne Werkzeug und ohne Material, allein durch sein Wort. Der erste Teil des Schöpfungsb­erichts betont vor allem die wunderbare Struktur der Schöpfung: Da gibt es Licht und Finsternis, das gibt es Himmel und Erde, das gibt es Meere und Kontinente, da gibt es Pflanzen und Fische und Vögel und Landtiere, da gibt Tag und Nacht, da gibt es Mann und Frau, da gibt es sieben Arbeitstage und einen Ruhetag. Aber die Erschaffung des Menschen und seine Beschaffenheit werden dort nur kurz gestreift. Darum spult uns der zweite Schöpfungsbericht anschließend noch einmal zum sechsten Schöpfungstag zurück und ergänzt wichtige Auskünfte über dieses Wesen: den Menschen.

Den ersten Menschen nennt die Bibel „Adam“ (1.Mose 3,8), denn „Adam“ ist das hebräische Wort für „Mensch“. Damit ist aber auch gleichzeitig schon eine erste Grundaussage über den Menschen getroffen, denn das hebräische Wort adam kommt von dem Wort admah, was auf deutsch „Erdboden“ heißt. Der Mensch ist also wörtlich übersetzt ein „Erdling“. „Gott der Herr machte den Menschen aus Erde vom Acker“, erzählt die Bibel (1.Mose 2,7). Wie kamen die Autoren des 1. Mosebuches zu dieser erzählerischen Idee? Die Menschen damals beobachteten, was mit einem Körper nach seinem Tod geschieht: Er wird zu Erde. Daraus zogen sie den Schluss, dass der Mensch aus derselben Materie wie der Erdboden gemacht sei. An dieser Erkenntnis hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert: Jeder Chemiker und jeder Biologe wird bestätigen, dass der menschliche Körper im Wesentlichen aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Schwefel besteht, ebenso wie der Ackerboden.

Die erste Antwort der Bibel auf die Frage „Was ist der Mensch?“ ist also ganz prosaisch folgende: Er ist ein Stück Dreck. Das mag eine biochemische Richtigkeit sein, es ist aber nichtsdestoweniger erst einmal hart, das so schonungslos zu hören. Der Mensch ist ein Stück Dreck, mehr nicht. Damit müssen wir klarkommen. Es ist aber trotzdem wichtig, das im Blick zu behalten. Zum einen, damit wir uns nicht überheben. Zum anderen, weil die Wunderbarkeit der biblischen Erzählung nur dann voll zur Geltung kommt, wenn wir das wirklich begriffen haben. Denn die Geschichte geht noch weiter.

„Gott blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase, und so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.“ (2,7) Diesen Odem, diesen göttlichen Hauch, nennen wir Seele. Wir können sie nicht besser beschreiben als so: Die Seele ist das, was einen lebendigen Menschen von einem leblosen Menschenleib unter­scheidet. In alten Zeiten hat man die Seele deshalb mit dem Atem des Menschen in Verbindung gebracht, denn normaler­weise unter­scheidet ja vor allem das Atmen den lebendigen vom toten Menschen. So kommt es, dass das Wort „Geist“ in den biblischen Ursprachen wörtlich mit „Windhauch“ oder „Atem“ beziehungs­weise „Odem“ übersetzt werden kann. Der Mensch bildet also eine wunderbare Einheit von irdischem Leib und göttlichem Geist: Der Leib kommt von unten, von der Erde; der Geist aber von oben, direkt eingeblasen vom Herrn des Himmels. Was unsern Leib anbetrifft, sind wir den Tieren ähnlich, was aber unsere Seele anbetrifft, sind wir den Engeln ähnlich, ja sogar Gott ähnlich. Im ersten Schöpfungs­bericht heißt es bei der Erschaffung des Menschen: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“ (1,27). Die Seele befähigt uns, zu denken und zu sprechen. Die Seele schenkt uns ein Ich-Bewusstsein. Die Seele befähigt uns, über uns selbst nachzudenken und Ent­scheidungen zu treffen. Und diese Seele ist es auch, die uns vor unserem Schöpfer ver­antwortlich macht – im Gegensatz zu allen anderen irdischen Geschöpfen.

Ich will damit nicht sagen, dass Tiere keine Seele hätten. Das zu beurteilen steht mir nicht zu. Die Bibel macht aber ganz deutlich, dass Gott sich mit keinem seiner Lebewesen solch eine Mühe gemacht hat wie mit dem Menschen. Insofern sind wir dann eben doch nicht nur ein Stück Dreck, sondern wir sind liebevoll und mühevoll erschaffene Wesen, ein Ebenbild Gottes, und tragen ein Stück von Gott selbst in uns. Aber anders als die Griechen meinten. Die Bibel macht ganz deutlich, dass wir nicht eine unsterbliche Seele besitzen, ein kleines Stück göttliche Unsterblichkeit in uns tragen, wie wir heute ja auch so gerne glauben. Wir sind keine kleinen Götter. Sondern wir bleiben „Erdmännchen“, deren Leben und deren Seele von Gott geschenkt ist und nach unserem Tod wieder zu ihm zurückkehrt. In Psalm 146 heißt es mahnend: „Verlasst euch nicht auf die Herren dieser Welt, auf einen Menschen ohne Macht. Wenn er den Geist aushaucht, wird er zu Erde, und all seine Pläne sind an einem Tage dahin.“ (Psalm 146,3-4) Wir sind keine kleinen Götter mit einem angeborenen senfkorngroßen Stückchen Unsterblichkeit, sondern alles, was wir sind und was wir haben, haben wir von Gott.

Der zweite Teil des Schöpfungs­berichts erzählt aber noch mehr über den Menschen. Gott schenkt Adam nicht nur einen Leib und eine Seele, sondern er schenkt ihm auch einen besonderen Lebensraum: den Garten Eden. Das hebräische Wort „Eden“ heißt auf deutsch „Wonne“: ein Garten der Wonne. In der griechischen Sprache gibt es ein altes persisches Fremdwort für „Garten“ oder „Park“, das heißt „Para­deisos“. In der berühmten griechischen Bibel­übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta, wird dieses Wort für den Garten Eden verwendet; darum nennt man ihn auch „das Paradies“. Im Paradies­ der Wonne brauchte sich der Mensch nicht um die Bestellung eines Ackers zu kümmern, sondern hier konnte er einfach zu jeder Zeit ernten, was er brauchte.

Die Aufgabe des Menschen ist es laut beiden Schöpfungsberichten, Verwalter der Schöpfung zu sein (1,28 und 2,5). Gott hat alles auf den Menschen hin geschaffen und für ihn vorbereitet; wir sind das Ziel seiner Schöpfung. Es ist also nicht so, wie mancher Natur-Vergötterer glaubt: dass die Natur Selbstzweck und der Mensch der Störenfried darin ist. Wir wissen durch Gottes Wort, dass Gott die ganze Natur uns Menschen zum Nutzen und zur Freude geschaffen hat. Das berechtigt uns allerdings nicht dazu, Raubbau oder Schindluder mit Gottes Schöpfung zu betreiben.

Was also ist der Mensch? Die Antwort unserer Geschichte: Der Mensch ist ein Männchen aus Erde, betraut mit einer Verwaltungsaufgabe. Gleichzeitig aber auch ein Lebewesen, das Gott mit viel Mühe und Liebe geschaffen hat; dem er ein Stück von sich selbst geschenkt hat; ein Gegenüber, mit dem er sich beschäftigen kann und das die freie Verantwortlichkeit hat, sich an Gottes Rat zu halten oder es zu lassen; das Ziel der göttlichen Schöpfung. Das ist die Antwort unseres Bibelabschnitts auf die Frage, was der Mensch ist. Und darum kann Psalm 8 dann auch sagen: „Du hast ihn nur wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan.“ (Psalm 8,6-7)

Wir wollen aber nicht vergessen, dass wir mit unserem Textabschnitt erst ganz am Anfang der großen biblischen Geschichte stehen, 1. Buch Mose Kapitel 2. Die Geschichte Gottes mit seinen Menschen hat hier noch nicht einmal angefangen. Mehr als eine grundsätzliche dramaturgische Skizze des Menschen kann hier noch nicht gegeben werden. Aber diese grundsätzliche Klarstellung ist wichtig. Denn die unfassbare Wunderbarkeit der gesamten biblischen Geschichte wird nur deutlich, wenn wir im Blick behalten, was wir Menschen eigentlich sind: „Gott weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind“, sagt Psalm 103,14. Und nur vor dieser krassen Klarstellung am Anfang der Bibel her wird das große Staunen verständlich, mit dem der erste Johannesbrief am Ende der Bibel ausruft: „Seht, welch eine Gnade hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und es auch sind!“ (1.Johannes3,1)

Zwischen dieser ersten grundsätzlichen Skizzierung des Menschen als beseeltes Stück Dreck mit Verwaltungsaufgabe (im ersten Mosebuch) und dem Staunen des Johannes über unsere Gotteskindschaft (am Ende der Bibel) werden wir im Verlauf der biblischen Geschichte Zeugen, wie Gott seine „Erdmännchen“ trotz all ihrer Fehler und Renitenzen so dermaßen liebgewinnt, dass er sie für immer bei sich haben möchte – und sie darum, wenn sie seinen Geist ausgehaucht haben, erneut in ein Paradies der Wonne setzen will, in dem sie dann ewig leben dürfen. Wir Erdlinge können ihm dafür gar nicht genug danken, ihn loben und ehren.

Amen.